Sie ist 21 Jahre alt und leitet ein Team von über 80 Studierenden, die innerhalb von nur 9 Monaten von Grund auf einen für internationale Wettbewerbe tauglichen Rennwagen bauen sollen. Jade Gibouin ist die CEO des EPFL Racing Teams, einer studentischen Organisation der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), die sich mit anderen Schweizer und internationalen Teams in der Formula Student weltweit misst. Wir hatten die Gelegenheit, mit ihr über Folgendes zu sprechen:
- ihren Werdegang zur CEO des Rennteams,
- ihre Strategien, um Studium, Ingenieurwesen und Geschäftsführung unter einen Hut zu bringen,
- ihren Einfluss in den männerdominierten Bereichen des Ingenieurwesens und des Rennsports
- sowie über ihr Vorgehen im Umgang mit finanziellen Herausforderungen.
Hallo Jade! Magst du ein wenig über dich erzählen? Was hat dein Interesse an einem Studium an der EPFL geweckt? Und was hat dich zu deiner jetzigen Rolle als CEO des EPFL Racing Teams geführt?
Hallo, ich heisse Jade und bin 21 Jahre alt. Ich bin derzeit CEO des EPFL Racing Teams und studiere Maschinenbau an der EPFL. Ich habe Paris kurzerhand verlassen, um in Lausanne zu studieren, und bereue es keineswegs. Das Studium an der EPFL ist sehr theoretisch und ich erhoffte mir mehr Praxiserfahrung. Deshalb wollte ich an einem «MAKE Project» teilnehmen. Ausserdem begeisterte ich mich damals sehr für die Formel 1, weshalb mir das EPFL Racing Team als die richtige Wahl erschien. Ich trat dem Team 2021 als CFO (Chief Financial Officer) und COO (Chief Operations Officer) bei. 2022 wechselte ich dann in die Chassis Division und blieb CFO, weil ich Erfahrungen in einer technischen Abteilung sammeln wollte. Letzten September bot sich mir die Gelegenheit, CEO des Teams zu werden!
Ein Team zu leiten, das sowohl aus technischen Experten als auch aus Führungskräften besteht, erfordert besondere Fähigkeiten – gerade, wenn alle parallel ein Vollzeitstudium an der EPFL absolvieren. Welche Strategien hast du gefunden, um diese unterschiedlichen Bedürfnisse und individuellen Schwerpunkte in Einklang zu bringen?
Das EPFL Racing Team und das Vollzeitstudium unter einen Hut zu bringen, ist wirklich eine grosse Herausforderung. Es ist wichtig, die Teammitglieder durch eine gute Stimmung zu motivieren und ihnen zuzuhören. Wir sind viel mehr als ein Verein: Wir sind alle Freiwillige. Wenn sich die Leute integriert und verbunden fühlen, werden sie automatisch viel Zeit mit dem Rennteam verbringen.
Wir sind leidenschaftlich bei der Sache, zählen die Stunden nicht und verbringen viel Zeit mit den Teammitgliedern, wovon manche zu engen Freunden werden. Man muss flexibel sein und sich seine Zeit gut einteilen können, denn alle müssen ihre Aufgaben erfüllen. Wenn sich jemand nicht genug einbringt, kann das ganze Projekt gefährdet sein, denn wir haben nur neun Monate Zeit, um das Fahrzeug zu entwickeln und zu bauen. Deshalb ist es wichtig, sich frühzeitig Ziele zu setzen und diese nicht aus den Augen zu verlieren. Dazu gehören regelmässige Treffen zwischen den einzelnen Divisionen, aber auch Treffen mit dem gesamten Team, damit alle wissen, was in den anderen Divisionen vor sich geht. Jedes Mitglied hat eine entscheidende Rolle und Verantwortung, aber wir unterstützen uns auch gegenseitig und lernen voneinander.
Die Führung von studentischen Organisationen wie dem EPFL Racing Team wechselt jährlich, was eine gute Gelegenheit für jedes neue Team ist, seine Vision einzubringen! Welche neuen Perspektiven hast du in das Projekt eingebracht und wie haben sie sich auf das Team und deine Arbeit mit externen Stakeholdern ausgewirkt?
In diesem Jahr habe ich versucht, das Augenmerk darauf zu richten, wie sich die Menschen als Teil des Teams fühlen. Schliesslich arbeiten wir neben unserem Studium als Teil des Teams, da ist Zufriedenheit wichtig. So haben wir zum Beispiel mit jedem Mitglied 10-minütige Einzelgespräche geführt und einen Verhaltenskodex aufgestellt. Es war mir auch ein Anliegen, Mädchen im Alter von 10 bis 15 Jahren in der ganzen Schweiz weiterhin für die Wissenschaft zu begeistern.
Wir haben häufiger Veranstaltungen durchgeführt, um direkt mit potenziellen Sponsoren in Kontakt zu treten. Denn oft ist nicht ganz klar, was wir tun, sodass wir rasch auf ein Rennauto reduziert werden und die gesamte Erfahrung, die dahintersteckt, sowie die technischen und allgemeinen Fähigkeiten, die wir entwickeln, ausser Acht gelassen werden. Deshalb war es mir wichtig, die Menschen und die Öffentlichkeit kennenzulernen.
Gemäss dem Gender-Monitoring-Bericht der EPFL für die Jahre 2023-2024 ist der Frauenanteil unter den Studierenden mit rund 30 % immer noch vergleichsweise gering. Wirkt sich dies auch auf das Rennteam aus? Wie gehst du die Herausforderung an, den Frauenanteil im EPFL Racing Team zu erhöhen?
Ja, die Unterrepräsentation von Frauen in MINT-Fächern wirkt sich auf unser Team aus. Im Jahr 2022 waren wir zehn Frauen, vier davon in technischen Abteilungen.
Letztes Jahr zählten wir nur neun Frauen in den technischen Abteilungen und dieses Jahr sind wir überaus erfreut, etwa zwanzig Frauen im Team zu haben. Dieser Zuwachs ist zum Teil auf die drei Teamleiterinnen zurückzuführen: Ihr Engagement inspiriert andere Frauen, sich dem Team anzuschliessen, und hilft ihnen, sich besser mit dem Team zu identifizieren. Wir streben ein inklusives Umfeld an, da uns dieses Thema sehr wichtig ist.
Als weibliche Führungskraft in einem so männerdominierten Bereich bist du ein grosses Vorbild für junge Frauen, die sich für Technik und Motorsport interessieren. Unterstützt du irgendwelche Initiativen, um dies zu fördern? Erzähle uns von einem erfüllenden Moment, in dem du dich als Botschafterin für die nächste Generation von Frauen in MINT-Fächern gefühlt hast.
Wie erwähnt, wollen wir die nächste Generation von Mädchen für diese technischen Bereiche begeistern. Wir nehmen an Workshops des «Girls Coding Club» teil, einem 2018 von der EPFL initiierten Projekt. Ihr langfristiges Ziel ist es, die Frauenquote in den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) sowie Ingenieurwesen zu erhöhen. Ich weiss nicht, ob ich für sie ein Vorbild bin, aber bei den Workshops des «Girls Coding Club», die ich geleitet habe, ist es immer wieder toll, die Gesichter der Mädchen aufleuchten zu sehen, wenn sie erkennen, was wir tun können. Ausserdem ist es spannend, sich mit ihnen auszutauschen, wenn sie Fragen dazu stellen, wie sie sich in diesen Studien engagieren können.
Jedes Jahr ein Rennauto von Grund auf neu zu bauen und es an internationale Wettkämpfe mitzunehmen, muss teuer sein, oder? Welche Strategien haben sich für dich am besten bewährt, um die benötigten Zuschüsse zu erhalten und sie effizient auf die verschiedenen Divisionen aufzuteilen?
Die Gewährleistung der Finanzierung ist tatsächlich eine grosse Herausforderung. Wir haben langjährige Beziehungen zu Partnern und Sponsoren aus der Industrie aufgebaut, die unsere Leidenschaft für Innovation, Nachhaltigkeit und Spitzenleistungen teilen. Wir versuchen, ihnen zuzuhören und auf ihre Bedürfnisse so weit wie möglich einzugehen, damit die Partnerschaft für beide Seiten gewinnbringend ist. In diesem Jahr haben wir versucht, das Team durch mehr Veranstaltungen bekannt zu machen, zum Beispiel auf der Messe «Sustainability Days» in Basel oder auf der internationalen Messe für Erfindungen in Genf (International Exhibition of Inventions in Geneva), wo wir viele Menschen treffen und Kontakte knüpfen, aber auch unser Crowdfunding vorantreiben konnten. Als Gegenleistung für eine Spende und je nach gewähltem Paket bieten wir beispielsweise das Abbilden des Namens auf dem Auto an.
Zu Beginn des Jahres teilt unser CTO (Chief Technology Officer) ein Budget entsprechend den von den einzelnen Divisionen festgelegten Zielen zu. Dabei muss jede Division dieses Budget einhalten, im Auge behalten und ihre Teile gemäss dem zugewiesenen und zuvor besprochenen Budget produzieren und gestalten.
Innerhalb des Teams legen wir grossen Wert auf Transparenz und eine sorgfältige Budgetierung, um sicherzustellen, dass die Ressourcen effizient verteilt werden und alle Divisionen über die für ihren Erfolg erforderlichen Mittel verfügen.
Durch deine Teilnahme an der Formula Student kommst du in engen Kontakt mit führenden Unternehmen der Automobilindustrie. Siehst du dich in der Zukunft in dieser Branche, zum Beispiel in einem Team der Formel 1?
Zweifellos! Die Automobilindustrie, insbesondere der Motorsport, ist ein Gebiet, an dem ich sehr interessiert bin. Die Innovation, die Teamarbeit und das leistungsorientierte Umfeld sprechen mich ungemein an. Ich möchte in einer Führungsposition arbeiten, in der ich zu Spitzentechnologien beitragen und die Grenzen des Möglichen ausreizen kann, sei es in der Formel 1 oder in einem anderen Bereich.
Zudem ist es sehr inspirierend zu sehen, dass sich mehr Frauen in diesem Bereich engagieren und anerkannt werden.
Zum Abschluss unserer Interviews stellen wir immer eine Frage zum Thema Geld. Deshalb möchte ich dir folgende Frage stellen: Was bedeutet für dich persönlich Reichtum?
Es mag wie ein Klischee klingen, aber für mich bedeutet Reichtum, über genügend finanzielle Mittel zu verfügen, um eine stabile und sichere Zukunft zu gewährleisten. Doch es geht nicht nur um finanziellen Erfolg. Vielmehr geht es auch darum, eine erfüllende Karriere zu haben, mich mit unterstützenden und inspirierenden Menschen zu umgeben, einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, einen Zweck zu erkennen und in allen Aspekten des Lebens glücklich zu sein.
Vielen Dank, Jade, dass du deinen inspirierenden Weg und deine Einblicke mit uns geteilt hast. Es liegt auf der Hand, dass du mit deiner Leidenschaft und Führungsstärke eine glänzende Zukunft vor dir hast. Wir wünschen dir und dem EPFL Racing Team weiterhin viel Erfolg auf der Rennstrecke und bei all euren zukünftigen Vorhaben!
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